Schutzengel

Tante Frida beugte sich zu Petra herunter und fragte: „Na Petra, was willst du später mal werden?“
„Ich werde mal Schutzengel!“ antwortete sie, ohne von ihrer Puppe aufzublicken.
„Keine Tierärztin oder Pilotin?“
„Nein! Ich werde ein Schutzengel!“
„Aber warum denn gerade ein Schutzengel?“ fragte Tante Frida interessiert.
Petra legte ihre Puppe beiseite, und blickte ihre Tante erstaunt an. „Ein Schutzengel…“ und überlegte kurz, „ein Schutzengel kann halt alles! Und er beschützt alle Menschen die er lieb hat, und das will ich auch!“
Das schien ihr Erklärung genug, denn sie kramte gleich wieder in ihrer Puppenkleiderkiste.
„Du weißt aber, dass Engel Flügel haben oder? Ich seh bei dir ja noch gar keine.“ antwortete Tante Frida leicht amüsiert.
„Tante, weißt du das denn nicht? Die Flügel muss man sich verdienen!“ und schüttelte vor so viel Unkenntnis den Kopf.
„Ach soooo! Ja dann verstehe ich!“ und ihre Tante nickte zustimmend.
„Dann wünsch ich dir, dass dir ganz schnell Flügel wachsen, damit du ganz flott ein Schutzengel werden kannst.“ und verließ ihr Kinderzimmer.
In der Küche angekommen fragte sie die Mutter: „Weißt du eigentlich, dass deine Tochter mal Schutzengel werden will?“ und nippte an dem Kaffee, der schon für sie bereit stand.
„Ja! Sie hat es mir letzte Woche beim Zubettgehen eröffnet.“ antwortete die Mutter schmunzelnd.
„Und wie kam sie darauf?“ fragte die Schwester neugierig.
„Naja“ begann die Mutter zu erzählen: „als wir letzte Woche von der Beerdigung vom Opa heimfuhren, fragte sie mich plötzlich, warum Opa gestorben sei.“ und ihre Augen wurden wieder feucht.
„Und? Was hast du ihr geantwortet?“
„Ich hab ihr gesagt, dass der Opa ja schon ganz schön alt war, und er nun unbedingt seinem Schutzengel für sein tolles Leben danken wollte. Aber dafür musste er dieses Leben verlassen.“
„Ach ist ja herzig! Und was hat Petra dazu gesagt?“
„Nichts!“ antwortete die Mutter, „sie eröffnete mir nur beim Zubettgehen, dass sie Schutzengel werden wird, damit kein Opa mehr dieses Leben verlassen müsste um sich bei ihm zu bedanken.
Und seit dem will sie alles über Schutzengel wissen.“
„Ach die Kinderseelen!“ antwortete die Schwester „wie feinfühlig und praktisch sie doch denken können. Ich werde ihr zu ihrem Geburtstag einen Schutzengel schenken!“
„Dann pass nur auf, dass sie sich von dir nicht auch gleich die Flügel wünscht, bei ihrer Ungeduld.“ und beide lachten herzlich.

Derweil stand im Kinderzimmer ein kleines Mädchen vor dem Spiegel und schaute prüfend über ihre Schulter, ob sie nicht schon kleine Flügelansätze entdecken könnte.
Als sie nichts sah, sagte sie das, was ihr Opa in solchen Momenten zu sagen pflegte: „Das wird schon!“ und eilte wieder zu ihren Puppen.

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