Wir waren 15 Mädchen in der Gruppe.
Viele von ihnen hatten noch Eltern, und ich konnte nicht verstehen, dass sie an Besuchstagen nicht ihre Töchter besuchen kamen.
So sehr ich mir Eltern gewünscht hatte, dieses Erleben lehrte mich, dass es manchmal besser war gar keine Eltern zu haben.
Ich konnte auch beobachten wie unterschiedlich diese Mädchen auf das Nichterscheinen ihrer Eltern reagierten.
Einige reagierten trotzig und aggressiv, und andre verkrümelten sich in eine Ecke und weinten bitterlich.
Meine Glorifizierung von Vater und Mutter wurde hier schmerzlichst zurecht gerückt.
Der monotone Trott wurde nur durch Festtage und einigen musikalischen Auftritten in Altersheimen und Sanatorien unterbrochen.
Ich weiß noch welche Aufregung unter den Mädchen herrschte, wenn es an Oster und Fronleichnam in die katholische Kirche außerhalb unseres Heimes ging.
Das Hauptthema Nr. 1 waren die Messdiener.
Ein großer Teil der Mädchen wurde sehr kreativ um sich für dieses Ereignis besonders heraus zu putzen.
So färbten sie sich die Augenwimpern mit schwarzen Wasserfarben, was nach Entdeckung zu Folge hatte, dass die Gruppenmutter jedes Mal mit einem feuchten Tuch über die Augen der Mädchen wischte.
In solchen Fällen wurden nicht die einzelnen Mädchen bestraft, sondern die ganze Gruppe, weil wir Anderen es nicht gemeldet hatten.
Vereinzelt nutzten einige Mädchen die Spaziergänge um wegzulaufen.
Ich selbst, und bestimmt jede von uns, hätte es auch gerne getan, aber die Angst vor der nachfolgenden Bestrafung war viel zu groß.
Denn, wenn sie nach einigen Stunden oder Tagen wieder zurückgebracht wurden, wurden sie erst mal von allen anderen Mädchen isoliert.
Es gab ein Zimmer im Haus, das unter uns als das „Totenzimmer“ verschrien war.
Irgendjemand hatte mal erzählt, dort wären die Leute vor unserer Zeit zum Sterben hingebracht worden.
Jede von uns fürchtete dieses Zimmer!
Und drei Tage bis eine Woche dort eingesperrt zu sein, war eine echt harte Nummer!
Man war in diesen Tagen völlig isoliert von der Gruppe, bekam sein Essen nur von einer Erzieherin gebracht, und ansonsten war man mit einem Block und Bleistift völlig alleine.
Einmal kam ein Mädchen nach Tagen der Isolation wieder in die Gruppe zurück, und ihr Gesicht war nicht mehr wieder zuerkennen.
Es war völlig vom Weinen zugeschwollen.
Man konnte kaum ihre Augen erkennen.
Dieser Anblick hatte mir einen dermaßen großen Schock versetzt, dass ich bis heute nicht mehr richtig weinen kann
Ich hatte schon Zuhause gelernt die Tränen zu unterdrücken, um einer erneuten Ohrfeige oder Prügel zu entgehen, aber dieser Anblick des Mädchens war einfach grausam.
Sie musste die ganzen Tage im Totenzimmer nur geweint haben.
Für mich ist das bis heute: seelische Quälerei auf höchster Stufe!
Es reihte sich Tag an Tag, und mein vorheriges Leben schien zu verblassen.
Die Albträume hörten auf, als sie mir mitteilten, dass mein Großvater verstorben sei.
Ich empfand weder Freude das er endlich weg war, noch Trauer, dass es ihn nicht mehr gab.
Mein Verdrängungsmechanismus hatte volle Arbeit geleistet.
Er erwachte erst wieder zum „Leben“, als ich nach Frankfurt in ein Lehrlingswohnheim kam, um mein Leben als junge Frau fortzusetzen.
Auch meine Großmutter verstarb kurz darauf. Und als wäre damit ein Kapitel meines Lebens abgeschlossen, fing auch mein Körper an, das Kind sein abzustreifen.
In diese Zeit betrat ein ganz besonderer Mensch mein Leben:
Eine neue Parktikantin!
Aufgeschlossen, lustig und voller Herzenswärme.
All das, was ich nie kennengelernt hatte.
Ein völlig neues, unbekanntes, helles Gefühl.
Für mich tat sich ein Stück Himmel auf!
Diese Praktikantin hat Vieles zu meinem Wohle auf den Weg gebracht, und somit den positiven Wandel in meinem Leben eingeleitet.
Sie hat immer meinen Lebensweg begleitet, und war in den wichtigen Momenten meines Lebens an meiner Seite – bis heute!
Ist das nicht wie ein kleines Wunder?
Danke Gisela!
Deshalb kann ich heute aus tiefster Überzeugung sagen:
Ich bin schon ein Sonnenkind!!
copyright seelenkarussell
Wahnsinn deine Erlebnisse
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Und trotzdem hat das Leben es gut mit mir gemeint.❤❤❤
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Ich habe jeden Teil deiner „Geschichte“ mit grossem Interesse gelesen, bewegt und auch schockiert. Ich bin Sozialpädagogin und habe viele Jahre Kinder und auch Jugendliche in Heimen betreut. Ich kenne natürlich die Geschichte der sogenannten Heimerziehung oder wie auch immer sie noch genannt wurde. Für mich ist es furchtbar, mir sowas vorstellen zu müssen. Wie Kinder oder auch behinderte Menschen behandelt wurden…
Ich habe mich sehr über deinen letzten Satz gefreut! Ich bin froh, dass sich für dich alles irgendwie zum Guten gewendet hat und auch, dass heute andere Erziehungsmethoden angewendet werden. Ich hoffe immer, dass ich all den Kindern, die ich betreut habe, irgendetwas Gutes mit auf den Weg geben konnte und dass sie sich an mich erinnern. Positiv.
Ich wünsche dir von Herzen alles Gute und bedanke mich für’s Teilen dieses schwierigen Lebensabschnittes. Wirklich sehr interessant.
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Ganz bestimmt wirst du in den Herzen deiner betreuten Kindern einen festen lieben Platz haben. Dessen bin ich mir ganz sicher.
Liebevolle Zuwendung vergisst man nie ❣❣
Alles alles Liebe für dich und zum Weitergeben.❤❤
Gabi
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Ein sehr berührender Beitrag mit einem wundervollen Ende.
Dann sind nicht alle Giselas schlimme Menschen.
Meine Schwester heißt so, aber darüber schreibe ich nichts und bin froh, nichts mehr mit ihr und ihrer Boshaftigkeit zu tun zu haben.
Alles Liebe von Mathilda ❤
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Hihi nein nicht alle Giselas sind schlecht.
Meiner Gisela war ein echter Glücksgriff.❤❤
Alles Liebe zu dir.❤
Und du hast bei mir gesehen, irgendwann wandelt sich alles zum Guten.🌞😊
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Ist doch schön, wenn sich alles zum Guten wendet.
Bei meiner Sister wird das nichts. Alles im Guten probiert. Sie bleibt boshaft und sieht nichts ein.
Schönen Abend dir 💖💖💕💕
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Dann muss man echt loslassen. Hab ich bei meiner Cousine auch gemacht.
Denn dir muss es gutgehen ❣❣❣
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Genau. So habe ich es gemacht 👍🏻👍🏻nur….ich mache mir leider Sorgen. Ist 4 Jahre jünger und lebt von H4 😣 im Haus meiner Eltern und das sieht schlimm aus.
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Die Sorgen wird man nie los.
Aber jeder Mensch hat seine eigene Schmerzgrenze und bevor die manchmal nicht erreicht ist, wird einem die Hilfestellung unmöglich gemacht.
Das ist hart, weil man nur zum Zusehen verdammt ist.
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Mögest du noch ganz lange ein Kind der Sonne bleiben!
Dies wünscht dir von Herzen…… Sarah
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Ein gaaanz liebes Dankeschön an dich.❤❤❤
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Ich freue mich sehr für dich, dass sich alles zum Guten gewendet hat.
Liebe Grüße in den Norden und an die See,
Brigitte
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Ja das hat es.❤❤
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Du erzählst die Geschichte mit soviel Herzenswärme und Menschlichkeit – vielen Dank für all die Hoffnung, die Du damit schenkst.
In tiefer Demut: Danke
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Ein liebes Dankeschön an dich. Für dein Mitfühlen, Mitdenken und deine Denkanstöße. Sie waren mir Streicheleinheiten für die Seele.
Tausend Dank dafür ❤❤❤
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