haltestelle

Von weitem sah Sabine schon die fünf jungen Männer kommen, die laut und aggressiv gegen alles traten was ihnen im Weg stand.
Einer von ihnen brach einen Außenspiegel von einem Auto ab, und reckte johlend seine Bierflasche in die Höhe.
Oh lieber Gott, lass schnell den Bus kommen! Diesen Mob brauche ich jetzt nicht gerade, betete sie flehend und schaute suchend in die Richtung, aus der der Bus kommen sollte.
Einige wartenden Fahrgäste blickten ebenfalls sehr besorgt auf die fünf grölenden Männer, und sehnten sich inbrünstig den Bus herbei.
Aber laut Fahrplan dauerte es noch fünf Minuten.
Leichte Panik machte sich breit, und ein älterer Mann überlegte laut ob er die Polizei rufen sollte.
„So lange sie uns nichts tun, kommt auch keine Polizei!“ sagte eine Frau unwirsch.
„Wenn ich warte bis sie mir was getan haben, kann ich keine Polizei mehr rufen!“ antwortete der Mann verärgert.
Der farbige Nachbar von der anderen Straßenseite hatte sich schon ängstlich in die hinterste Ecke der überdachten Haltestelle verkrochen, und zitterte leicht.
„Wir sind acht gegen fünf!“ sagte Sabine mit fester Stimme. „Wenn wir uns wie eine Mauer aufstellen, sollen sie mal kommen! Und wer etwas hat, mit dem er sich wehren kann, einen Schirm oder Stock, sollte ihn in die Hand nehmen. Diejenigen die älter sind, oder Angst haben, sollten nach hinten!“
Der ältere Mann entdeckte den sichtlich nervösen Farbigen und wetterte: „Der Schwarze da soll mal schleunigst abhauen! Die kommen doch eh nur wegen dem!“ und zeigte mit dem Finger auf ihn.
„Jetzt halten Sie aber mal den Ball flach!“ blaffte Sabine ihn an. „Wir alle warten auf den Bus! Wenn er jetzt wegläuft und es passiert ihm was, zeige ich Sie höchstpersönlich an!“ und Funken der Empörung sprühten aus Sabines Augen.
Mittlerweile waren die Chaoten schon so nahe gekommen, dass man ihre alkoholgetränkten Augen sehen konnte.
„Was haben wir denn da vorne?“ grölte der Größte aus der Gruppe und zeigte mit seiner Bierflasche auf die wartenden Fahrgäste, die sich schon zu einer geordneten Mauer formiert hatten.
Vier Leute, einschließlich Sabine, standen vorne, drei Leute dahinter, und der ältere Mann alleine in der letzten Reihe.
Die fünf Randalierer blieben in einem vertretbaren Abstand vor ihnen stehen.
Die Szene hatte etwas vom wilden Westen, wo sich immer die Duellanten gegenüber standen.
Die Chaoten fingen an zu pöbeln und provozierten mit zotigen Sprüchen.
Aber die Fahrgäste standen nur regungslos und still da.
Irritiert blickten die vier Chaoten zu ihrem Anführer, unschlüssig wie sie der still dastehenden Gruppe weiter begegnen sollten.
Der Anführer, selbst leicht verunsichert, grölte mit einem Mal: „Ja, dann lasst uns doch mal Büchsenwerfen machen! Sie stehen ja schon alle so schön geordnet da!“
Ein johlendes Gelächter von den Anderen bestärkte ihn in seiner Idee.
Er hob seine Bierflasche und warf sie in die Gruppe.
Geistesgegenwärtig fing Sabine die Flasche auf und dachte nur kurz: Danke fürs Handballtraining, bevor die anderen Flaschen geflogen kamen.
Eine Flasche konnte sie noch mit der Hand abwehren, die anderen drei Flaschen trafen die Fahrgäste.
Plötzlich schrie sie: „Los auf sie!“ und rannte los!
Sie wusste nicht ob ihr jemand von der Gruppe folgte, sie rannte nur in völligem Zorn auf die Randalierer zu.
Hinter ihr hörte sie wie jemand rief: „Verpisst euch ihr Pack!“ und sah wie ein junger Mann auf gleicher Höhe mit ihr lief.
Verdattert nahmen die Chaoten den Angriff zur Kenntnis, und traten zögerlich und rückwärts gehend den Rückzug an.
Der Anführer schrie ihnen noch entgegen: „Keine Angst! Wir erwischen euch noch!“ und suchte, zwar nicht rennend, aber doch forschen Schrittes das Weite.
Leicht atemlos, aber überaus zufrieden klatschten sich der junge Mann und Sabine mit der flachen Hand ab.
Als sie zur Haltestelle zurück gingen sahen sie, dass der ältere an der Stirn blutete, und der farbige Nachbar ihm mit einem Taschentuch das Blut wegwischte.
Es war Gott sei Dank nur ein Splitter, der ihn an der Stirn gestreift hatte. Ansonsten waren alle unverletzt geblieben.
„Danke für Ihre Zivilcourage!“ sagte der ältere Mann zu ihr, und reichte ihr die Hand.
Sie lächelte ihn an, und zeigte mit den Augen auf seinen farbigen Helfer.
Der ältere Mann drehte sich zu ihm um und sagte: „Danke mein Freund!“ und umarmte ihn herzlich.

„Na bitte! Geht doch!“ sagte Sabine und stieg in den Bus ein, der gerade die Haltestelle angefahren hatte, und ließ sich erleichtert ausatmend in den Sitz fallen.

Copyright seelenkarusell